Hessen: Verfassungsschutz darf Staatstrojaner für Online-Durchsuchung einsetzen

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Karlsruhe kippte das hessische Verfassungsschutzgesetz teils. Der Landtag hat eine Reform beschlossen, die dem Geheimdienst neue, weitgehende Befugnisse gibt.

Dieser Gesetzgebungsprozess stand unter besonderer Beobachtung, nachdem das Bundesverfassungsgericht 2024 den hessischen Gesetzgeber zu weitreichenden Nachbesserungen zwang. Vorige Woche hat der hessische Landtag nun in Wiesbaden die Novelle des Verfassungsschutzgesetzes (HVSG) mit der Mehrheit der schwarz-roten Koalition verabschiedet. Die Initiative, die Innenminister Roman Poseck (CDU) als „Meilenstein“ bezeichnet, stattet das Landesamt für Verfassungsschutz (LfV) mit tiefgreifenden digitalen Befugnissen aus.

Allen voran steht die Möglichkeit zu heimlichen Online-Durchsuchungen und zur Quellen-Telekommunikationsüberwachung mithilfe von Staatstrojanern. Kernstück der technischen Aufrüstung ist der neu gefasste Paragraf 7a. Er erlaubt dem Geheimdienst den verdeckten Zugriff auf IT-Systeme wie Computer, Smartphones und Tablets. Poseck begründete das damit, dass Extremisten die Möglichkeiten des digitalen Raums zur Vernetzung nutzten und die Behörden ihnen „auf Augenhöhe“ begegnen müssten.

Mehr Bedingungen für Zugriffsrecht

Technisch bedeutet die neue Norm, dass das LfV Sicherheitslücken ausnutzen darf, um Schadsoftware auf die Geräte von Zielpersonen aufzuspielen. Das Gesetz erlaubt dabei ausdrücklich, nicht nur Zugangsdaten zu erheben, sondern auch bereits verarbeitete Informationen auszuleiten. Um den verfassungsrechtlichen Vorgaben aus Karlsruhe zu genügen, hat der Gesetzgeber diese Maßnahme an Bedingungen geknüpft.

Der Hessentrojaner soll laut Poseck nur als „Ultima Ratio“ genutzt werden, wenn die Sachverhaltsaufklärung etwa durch die Polizei mit ihrer umstrittenen einschlägigen Befugnis anders nicht möglich ist. Zudem muss eine „konkretisierte Gefahr“ für hochrangige Rechtsgüter wie den Bestand des Bundes oder das Leben einer Person vorliegen.

Flankiert wird der tiefe Eingriff durch Verfahrensvorschriften in Paragraf 8. Der Einsatz der Spionagesoftware steht demnach unter Richtervorbehalt. Die Anordnung ist auf maximal einen Monat befristet, kann aber verlängert werden. Die am Zielsystem vorgenommenen Veränderungen müssen auf das Unerlässliche beschränkt bleiben und sollen bei Beendigung der Maßnahme „soweit technisch möglich automatisiert rückgängig gemacht werden“.

Die Reform sieht in Paragraf 16 vor, dass Daten über Personen unter 14 Jahren gespeichert werden dürfen, wenn tatsächliche Anhaltspunkte für schwere Straftaten vorliegen. Paragraf 24 regelt den Minderjährigenschutz bei der Datenübermittlung. Solange die strengen Speichervoraussetzungen erfüllt sind, dürfen diese Informationen auch an Dritte weitergeleitet werden. Fällt der Verdacht weg, ist eine Weitergabe nur zur Abwehr erheblicher Gefahren zulässig. Daten von Minderjährigen dürfen zudem grundsätzlich nicht an ausländische Stellen übermittelt werden.

Polizei hackt alle fünf Tage mit Staatstrojanern

Die Polizei nutzt immer öfter Staatstrojaner. Im Jahr 2023 durfte sie 130 Mal Geräte hacken und ausspionieren, 68 Mal war sie damit erfolgreich. Das ist eine Verdopplung innerhalb von zwei Jahren. Anlass sind wie immer vor allem Drogendelikte.

Polizei und Ermittlungsbehörden durften 2023 in Deutschland 130 Mal IT-Geräte mit Staatstrojanern hacken und haben es 68 Mal getan. Das hat das Bundesjustizamt bekannt gegeben. Damit hat sich die Anzahl der Trojaner-Einsätze in zwei Jahren mehr als verdoppelt.

Das Bundesjustizamt veröffentlicht jedes Jahr Statistiken zur Telekommunikationsüberwachung. Wir bereiten sie regelmäßig auf.

Anlass für den Einsatz von Staatstrojanern waren wie immer vor allem Drogen, so das Justizamt in der Pressemitteilung: „Wie in den vergangenen Jahren begründete vor allem der Verdacht einer Straftat nach dem Betäubungsmittelgesetz die Überwachungsmaßnahmen.“

62 kleine Trojaner

Die „Quellen-Telekommunikationsüberwachung“ hackt Geräte, um laufende Kommunikation auszuleiten. Dieser „kleine Staatstrojaner“ wurde 104 Mal angeordnet. In 62 Fällen wurde der Einsatz „tatsächlich durchgeführt“. Im Vorjahr waren es 49 Einsätze.

Spitzenreiter ist Nordrhein-Westfalen, dort haben Ermittler 23 Mal gehackt. Danach folgt Niedersachsen, dort kamen kleine Staatstrojaner zehn Mal zum Einsatz. Bayern und Sachsen haben je sieben Mal Geräte infiziert. Hamburg, Hessen und der Generalbundesanwalt hackten drei Geräte. Sachsen-Anhalt hat zweimal die Quellen-TKÜ eingesetzt, Baden-Württemberg, Rheinland-Pfalz, Schleswig-Holstein und Thüringen je einmal.

Damit hackt mittlerweile die Mehrzahl der Bundesländer. Nur fünf Länder haben keine Quellen-TKÜ eingesetzt: Berlin, Brandenburg, Bremen, Mecklenburg-Vorpommern und das Saarland.

Die Justizstatistik enthält leider keine Angaben, bei welchen Straftaten der kleine Staatstrojaner eingesetzt wird. Das Bundesjustizamt sagt, dass „vor allem“ Drogendelikte Anlass für Überwachung sind.

Sechs große Trojaner

Die „Online-Durchsuchung“ hackt Geräte, um sämtliche Daten auszuleiten. Dieser „große Staatstrojaner“ wurde 26 Mal angeordnet. In sechs Fällen wurde der Einsatz „tatsächlich durchgeführt“. Im Vorjahr waren es vier Einsätze.

Der Generalbundesanwalt hat 19 Anordnungen bekommen, aber nur zweimal gehackt. Anlass waren kriminelle oder terroristische Vereinigungen. Das könnten Rechtsterroristen wie die Patriotische Union oder Klimaaktivisten wie die Letzte Generation sein.

Bayern hat zweimal gehackt, wegen krimineller Vereinigungen oder Mord. Baden-Württemberg hackte einmal, wegen Straftaten gegen die sexuelle Selbstbestimmung bzw. kinderpornografischer Inhalte. Hessen hackte einmal, wegen Straftaten gegen die persönliche Freiheit. Hamburg wollte einmal hacken, wegen Straftaten gegen die persönliche Freiheit, war aber nicht erfolgreich.

Für und gegen Sicherheit

Politisch werden Staatstrojaner meist mit Terrorismus, Mord und Totschlag oder Straftaten gegen die sexuelle Selbstbestimmung begründet. Spitzenreiter sind jedoch auch weiterhin Drogendelikte. Damit verhindert der Staat, dass Sicherheitslücken geschlossen werden, um ein paar Drogen-Dealer zu bekämpfen.

Die Polizeibehörden besitzen mehrere Staatstrojaner, die sie einsetzen können. Das BKA hat selbst einen Trojaner Remote Communication Interception Software programmiert. Seit 2013 hat das BKA den Trojaner FinSpy von FinFisher. Seit 2019 hat und nutzt das BKA auch Pegasus von NSO. Welche weiteren Trojaner Polizei und Geheimdienste besitzen, will keine Bundesregierung öffentlich sagen.

Polizei hackt immer öfter

Erst seit fünf Jahren gibt es offizielle Statistiken, wie oft die deutsche Polizei Staatstrojaner einsetzt. Seitdem steigen die Zahlen Jahr für Jahr.

Die Ampel-Regierung wollte die Eingriffsschwellen für Staatstrojaner hochsetzen, hat das aber nicht umgesetzt. Die aktuelle Bundesregierung will den Einsatz von Staatstrojanern ausweiten. Die Bundespolizei soll Staatstrojaner gegen Personen einsetzen, die noch gar keine Straftat begangen haben.

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